110 Prozent Finanzierung
Baufinanzierung ohne Eigenkapital
Einst war es üblich, eine Rücklage zu schaffen und wenigstens zwanzig Prozent des Kaufpreises einer Immobilie als Eigenkapital selbst aufzubringen. Ansonsten wurden von den Banken keine Finanzierungen angeboten. Jedoch gibt es seit einigen Jahren eine andere Tendenz: Unter bestimmten Bedingungen kann eine Baufinanzierung auch ohne Eigenkapital erfolgen. Die gegenwärtig niedrigen Bauzinsen schaffen optimale Bedingungen für einen Immobilienkauf ohne Eigenkapital. Wenn die Voraussetzungen gegeben sind, sind auch Banken bereit, eine 100 oder gar 110 Prozent Finanzierung zu gewähren.
Mitfinanzierung der Nebenkosten
Bei einer Baufinanzierung ohne Eigenkapital erfolgt die Finanzierung des vollen Kaufpreises einer Immobilie. Allerdings muss tatsächlich auch bei einer Vollfinanzierung mehr als einhundert Prozent des Kaufpreises finanziert werden. Eine 110 Prozent Finanzierung umfasst neben den Kosten für die Immobilie selbst auch alle anfallenden Kaufnebenkosten, die über das Hauptdarlehen oder über einen gesonderten Privatkredit abgedeckt werden. Der Käufer bringt bei dieser Finanzierung überhaupt kein Eigenkapital ein.
Die Kaufnebenkosten umfassen alle Kosten, welche noch zusätzlich zum Kaufpreis der Immobilie fällig werden. Dazu gehören die Grunderwerbssteuer, Notarkosten, Kosten für die Eintragung in das Grundbuch sowie anfallende Maklergebühren. Diese Kaufnebenkosten betragen etwa zehn bis fünfzehn Prozent des Kaufpreises.
Voraussetzungen für eine Vollfinanzierung
Zwar ist bei zunehmend steigenden Immobilienpreisen und einem seit Jahren niedrigen Zinsniveau zu überlegen, ob eine 110 Prozent Vollfinanzierung in Frage kommt. Allerdings eignet sich nicht jeder für diese Art der Finanzierung. Mit dem Anstieg der Darlehenssumme steigt auch das Risiko, dass Zahlungsschwierigkeiten entstehen oder Zahlungen gar ganz ausfallen. Um eine solche Finanzierung zu erhalten, sind verschiedene Voraussetzungen zu erfüllen: Die Bonität des Kreditnehmers muss exzellent sein. Das bedeutet, es muss ein tadelloser Schufa-Scor vorliegen. Weiterhin ist ein hohes, gesichertes Einkommen erforderlich. Hierzu gehören ein unbefristeter Arbeitsvertrag und ein regelmäßiges möglichst hohes Einkommen. Freiberufler oder Selbstständige mit schwankendem Einkommen, werden es hier meistens schwer haben. Die Immobilie, die finanziert werden soll, sollte gut erhalten beziehungsweise nach Möglichkeit neuwertig sein. Diese dient der darlehensgebenden Bank als Sicherheit für eine lange Zeit, bis das Darlehen vollständig zurückgezahlt ist.
Nach Möglichkeit sollten die monatlich anfallenden Raten bei einer 110 Prozent Finanzierung höchstens 40 Prozent des monatlich zur Verfügung stehenden Einkommens des Kreditnehmers betragen. Laufen noch weitere Kredite, werden diese von den Kreditinstituten berücksichtigt. Es empfiehlt sich daher, wenigstens die Nebenkosten selbst zu zahlen und sich somit lediglich für eine 100 Prozent Finanzierung zu entscheiden. Ebenfalls kann ein weiterer Kreditnehmer, der ebenfalls über eine gute Bonität verfügt, die Kreditwürdigkeit zusätzlich erhöhen.
Beispiel für eine Baufinanzierung ohne Eigenkapital
Das nachstehende Beispiel steht für eine 110 Prozent Vollfinanzierung:
Immobilienwert: 300.000,00 €
Gesamtkredite: 330.300,00 €
Finanzierung der Immobilie mit einem Effektivzinssatz von 1,5 %
Finanzierung der Nebenkosten in Höhe von 30.000,00 € durch einen Privatkredit mit 2,90 Prozent Zinsen. Die monatliche Rate des Privatkredits beträgt 205,10 €.
Die monatliche Rate für das Darlehen beträgt 1.075,19 €
Die Zinskosten betragen nach 15 Jahren 63.301,47 €
Die Restschuld beträgt nach 15 Jahren 199.297,02 €
Die Laufzeit bis zur vollen Tilgung beträgt 37 Jahre und 7 Monate.
Vorteile einer 110 Prozent Finanzierung
Die Vollfinanzierung ermöglicht die Verwirklichung eines Planes von einem Eigenheim, auch wenn keine Ersparnisse und damit auch keine längeren Ansparzeiträume vorliegen. Wer zudem eine Immobilie als Altersvorsorge erwerben will, dem ermöglicht eine Vollfinanzierung einen früheren Erwerb des Objektes. Auch ohne persönliche Rücklagen können Kreditnehmer sofort aktiv werden. Ebenfalls können junge Menschen, die noch nicht genügend Eigenkapital ansparen konnten, eine Immobilie ihr Eigen nennen. Jungakademiker, die ein hohes und geregeltes Einkommen haben, können so schnell in die eigenen vier Wände kommen. Weitere Vorteile ergeben sich bei Objekte, die nicht selbst genutzt werden sollen, sondern als Kapitalanlage dienen. Investoren, die eine Immobilie als Anlage nutzen wollen, können hier steuerliche Vorteile erhalten. Selbst wenn Eigenkapital vorhanden sein sollte, kann dieses als Finanzpolster für unvorhergesehene Ereignisse oder plötzlich anfallende Ausgaben verwendet werden. Möglicherweise kann es sogar noch gewinnbringender investiert werden, weshalb ein höherer Zinssatz einer Vollfinanzierung hier nicht ins Gewicht fällt.
Nachteile einer 110 Prozent Finanzierung
Wer sich für eine Baufinanzierung ohne Eigenkapital entscheidet, muss mit einer langen Laufzeit rechnen, bis das Darlehen vollständig zurückgezahlt ist. Je weniger Eigenkapital ein Kreditnehmer mitbringt, umso höher ist der zu zahlende Zinssatz. Je mehr Eigenkapital ein Kreditnehmer mitbringt, umso niedriger wird der für das Darlehen zu zahlende Zinssatz. Durch die höheren Zinsen und entsprechend hoher Kreditraten wird die monatliche Belastung bei einer Vollfinanzierung sehr groß. Kreditnehmer sollten sich darüber im Klaren sein, dass mit einer sehr langen Rückzahlung der Kreditsumme das Risiko, in dieser langen Zeit mit unerwarteten Veränderungen konfrontiert zu werden, steigt. Auch Kreditnehmer, die finanziell gut aufgestellt sind, können Berufsunfähigkeit, unvorhergesehene Arbeitslosigkeit oder andere Risiken treffen. Hinzu kommen Risiken im Zusammenhang mit dem Hauskauf selbst, wie unvorhergesehene Schäden oder anfallende Sanierungsarbeiten, die jemanden schnell vor unvorhergesehene Herausforderungen stellen können. Vollfinanzierungen werden daher nur an Kreditnehmer vergeben, die als ausgesprochen zahlungssicher gelten. Schwierig wird eine Vollfinanzierung bei Objekten, die von vorne herein einen hohen Modernisierungsbedarf haben. Ohne umfassende Darlegung der vorgesehenen Modernisierungsarbeiten, die dem Wert einer Immobilie zugutekommen, wird in diesen Fällen keine Vollfinanzierung gewährt.
Höhere Belastung bei einer Anschlussfinanzierung
Da bei einer Baufinanzierung ohne Eigenkapital die Restschuld wesentlich langsamer abgetragen wird, muss eine viel höhere Summe zur Weiterfinanzierung aufgewendet werden, als bei einer Finanzierung mit Eigenkapital. Hinzu kommt das Risiko von Zinsänderungen. Hat dieses sich verschlechtert, muss der Kreditnehmer bei einer Anschlussfinanzierung einen deutlich höheren Zinssatz in Kauf nehmen. Unter Umständen kann er die dann fällig werdende monatliche Belastung nicht mehr tragen. Gerade bei einer Vollfinanzierung wird die monatliche Belastbarkeit vom Kreditnehmer oftmals zu eng kalkuliert oder gar zu optimistisch eingeschätzt. Sowohl eine hohe Restschuld als auch möglicherweise gestiegene Zinsen erschweren eine Anschlussfinanzierung.
Hinweise und Tipps für eine 110 Prozent Finanzierung
Eine 110 Prozent Vollfinanzierung sollte einschließlich eines entsprechenden finanziellen Spielraums realistisch geplant werden. Es muss sichergestellt werden, dass die monatlichen Raten auch in schwierigeren Zeiten gezahlt werden können. Ebenso sollte das Darlehen zusätzlich, beispielsweise durch eine Risikolebensversicherung oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung, abgesichert werden. Ebenso sollten die Angebote verschiedener Banken verglichen und geprüft werden.